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"Ein Umdenken bei den Eltern ist möglich" — Das IHK-Elternfrühstück in Offenbach und Wiesbaden
Erziehungsberechtigte haben großen Einfluss auf die Berufsfindung Jugendlicher. Daher spielt im Rahmen von OloV die Ansprache und Information der Eltern nicht nur im schulischen Kontext eine wichtige Rolle. Beispielhaft für ein erfolgreiches außerschulisches Angebot für Eltern steht das Beratungsformat „Elternfrühstück“ der IHK. Christine Lutz, IHK Wiesbaden, und Thomas Süsser, IHK Offenbach, schildern ihre Erfahrungen mit diesem Veranstaltungsformat. Ihr Fazit: Eltern streben für ihre Kinder meist einen möglichst hohen Bildungsabschluss an. Lernen sie jedoch das vielfältige duale Ausbildungssystem und die darin möglichen beruflichen Entwicklungswege kennen, wird die Ausbildung als Alternative attraktiv.
M. Sittig: Wie kamen Sie darauf, das Elternfrühstück anzubieten?
C. Lutz: Elternarbeit ist eines unserer OloV-Ziele. Wir versuchen, die Eltern stärker in die Berufsorientierung einzubeziehen, denn die Erziehungsberechtigten haben großen Einfluss auf die Berufsfindung ihrer Kinder. Es gibt immer mehr Eltern, auch und gerade in Wiesbaden, die aufgrund ihres Migrationshintergrundes das duale Ausbildungssystem nicht kennen. Sie gehen davon aus, dass der einzige Weg ihr Kind glücklich zu machen das Abitur und möglichst danach ein Studium ist. Seit Jahren beraten wir im Rahmen unseres Wirtschaftsführerscheins Schülerinnen und Schüler in Haupt-, Real- und Gesamtschulen. Dabei hören wir immer wieder, dass die Jugendlichen nach der Sekundarstufe I weiter zur Schule gehen und das Abitur machen wollen. Daher möchten wir die Eltern auf Alternativen hinweisen. Ein Fokus liegt insbesondere auf den Eltern von Gymnasiastinnen und Gymnasiasten, da nicht jede Abiturientin bzw. nicht jeder Abiturient für ein Studium geeignet ist.
Vor diesem Hintergrund haben wir uns überlegt, welches Format gut sein könnte. Wir haben dann aus dem Blauen heraus gesagt: Okay, wir laden die Eltern an einem Samstagvormittag hier in die IHK zu einem Frühstück ein. Dabei bieten wir ihnen einen kleinen Einführungsvortrag im Sinne von: "Was machen wir? Warum machen wir das?" Die Eltern erhalten Fakten zur Anzahl der Ausbildungsberufe, zu Verdienstmöglichkeiten und notwendigen Abschlüssen etc., alle IHK-Ausbildungsberaterinnen und -berater sind anwesend und stehen für die Beratung der Eltern zur Verfügung.
"Es gibt immer mehr Eltern, die das duale Ausbildungssystem nicht kennen"
T. Süsser: Die Eltern sind die wichtigsten Beraterinnen und Berater ihrer Kinder für die Berufswahl. In dieser Funktion möchten wir sie einbeziehen und dabei die Ausbildung als lohnende Alternative zum Studium darstellen. Warum wir das Elternfrühstück im Rahmen der Bildungsmesse anbieten? Weil wir gemerkt haben, dass das eine Plattform ist, bei der wir die Eltern erreichen können. Kinder gehen oft mit ihren Eltern zur gOFfit, daher nutzen wir diese Plattform.
M. Sittig: Was ist denn das Besondere an der Veranstaltung?
T. Süsser: Das Besondere am IHK-Elternfrühstück ist, dass unsere Bildungsberater/innen als Fachleute für Fragen rund um die Ausbildung dabei sind. Außerdem sind Unternehmen vertreten, so dass die Eltern direkt Berichte aus der Praxis bekommen. Zum Beispiel was bei der Bewerbung wichtig ist, was von den Jugendlichen erwartet wird, wie so ein Auswahlverfahren stattfindet und welche Karrieremöglichkeiten in der Firma nach der Ausbildung bestehen. Das Elternfrühstück ist eine Plattform, bei der nicht jemand nur vorträgt, sondern bei der man mit Eltern ins Gespräch kommt und sie ihre Fragen loswerden können. Im letzten Jahr war die Geschäftsführerin eines Franchisenehmers von McDonald’s als Referentin anwesend. Sie hat sich mit den Eltern darüber ausgetauscht, was die Wirtschaft von den Schulabgänger/inne/n erwartet und wie ein Einstellungsverfahren stattfindet. Für die gOFfit 2018 ist der Ausbildungsleiter der Manroland Sheetfed GmbH in Offenbach eingeladen.
"Es wird wahrgenommen, dass die Ausbildung sozusagen der erste Schritt in die Karriere ist."
Es braucht immer ein bisschen Zeit, bis die Eltern einsteigen. Wenn die Unternehmensvertreter/innen aus der Praxis berichten, merken die Eltern: "Oh, das ist ja doch wichtig, wie so eine Bewerbung aussieht und was da so gemacht wird und was die Praktika für eine Rolle spielen." Viele Eltern sind zunächst ein bisschen skeptisch: "Warum Berufsausbildung? Das Kind soll doch lieber studieren." Wenn aber aufgezeigt wird, was nach einer Ausbildung alles in dem Unternehmen möglich ist, dann sind die Eltern durchaus beeindruckt. Es wird wahrgenommen, dass die Ausbildung sozusagen der erste Schritt in die Karriere ist. Ein Umdenken bei den Eltern ist möglich.
Der gemeinsame Austausch kommt immer sehr gut an. Die Eltern nutzen die Gelegenheit und stellen die eine oder andere Rückfrage. Unsere Bildungsberater/innen der IHK beraten dann gerne auch die Jugendlichen, die noch nicht wissen, was sie machen sollen.
M. Sittig: Wie sind Sie bei der Ansprache der Eltern vorgegangen?
C. Lutz: Das Elternfrühstück wurde relativ breit über verschiedene Kanäle publiziert. Das Staatliche Schulamt hat den Veranstaltungshinweis über die BSO-Koordinatorinnen und -Koordinatoren an die Schulen weitergeleitet. Zusätzlich haben wir jede Schule angeschrieben. Über die Websites der Schulen haben wir die offiziellen Mailadressen der Schulelternbeiräte ermittelt und diese per Mail kontaktiert. Ich glaube, es gab noch eine Ankündigung in der Zeitung, aber die anderen Wege waren, denke ich, die besseren. Es wurde um eine Anmeldung gebeten und wir waren überrascht, dass sich fast 200 Eltern angemeldet haben. Schließlich konnten wir keine Anmeldung mehr annehmen. An dem Elternfrühstück im November 2016 waren letztlich ca. 175 Eltern anwesend.
T. Süsser: Da das Elternfrühstück im Rahmen unserer Bildungsmesse stattfindet, haben wir es in unsere Werbung integriert. Wir verteilen an die Schulen in Stadt und Kreis Offenbach Messemagazine. Die Zielgruppe an den Schulen sind Schülerinnen und Schüler aus den Vorabgangs- und Abgangsklassen. Darüber hinaus werden die Schulen gebeten, die Einladungen an die Elternbeiräte weiterzugeben.
"Eine wesentliche Erkenntnis war, dass die Eltern schlicht und ergreifend Angst haben"
M. Sittig: Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Elternfrühstück gemacht? Wie oft wurde es angeboten? Wird es in der Zukunft weitergeführt? C. Lutz: Das Elternfrühstück fand von neun bis elf Uhr in der IHK Wiesbaden statt. Es gab Stückchen vom Bäcker und Kaffee. Die Veranstaltung war sehr nett und wir sind wirklich überrascht gewesen, wie hoch das Interesse war. Es waren auch sehr viele Eltern da, deren Kinder das Gymnasium besuchen. In den persönlichen Gesprächen hat man gemerkt, wie verzweifelt die Eltern zum Teil sind. Die Eltern beschäftigt es sehr, wenn sie feststellen müssen, dass ihr Kind das Abitur nicht schafft, nicht für ein Studium geeignet ist oder sich nicht mehr für ein Studium interessiert. Dann stellt sich die Frage: „Was soll mein Kind jetzt machen?“ Eine wesentliche Erkenntnis der Veranstaltung war, dass die Eltern schlicht und ergreifend Angst haben. Man muss versuchen den Eltern diese Angst zu nehmen, dass mit der Entscheidung gegen ein Studium im Grunde genommen die Karriere schon im Keller ist. Viele berichteten auch von der Situation, dass die Kinder zu diesem Zeitpunkt extreme Schulprobleme hatten und die Eltern sich nicht sicher waren, ob sie ihrem Kind den weiteren Schulbesuch zumuten können. Überall zog sich diese Angst durch: "Mein Kind scheitert, und ich kann es nicht verhindern. Ich weiß nicht, wie ich mein Kind noch irgendwie zum Abitur bekomme, damit es dann doch sein Studium macht." Diese Angst zu nehmen, das war unser Hauptaugenmerk.
Wir hatten auch die Weiterbildung mit im Boot, da wir ansonsten während der Veranstaltung nicht genug Beratungsfachkräfte zur Verfügung gehabt hätten. Interessant dabei war, dass die Eltern anfingen sich darüber zu erkundigen, was sie eigentlich selbst, d.h. für sich persönlich machen könnten. Es wurde ein umfassender Beratungsvormittag und meine Kollegin aus der Weiterbildung hat sehr viel über Fachwirte, Meisterausbildung und Weiterbildung im Beruf beraten. Das war wirklich toll. Wir hatten viel Kontakt, sehr positiven Kontakt und positive Beratung an diesem Vormittag.
"Es kommen oft nur die Eltern, die man eigentlich gar nicht erreichen müsste"
M. Sittig: Sowohl in Offenbach als auch in Wiesbaden haben Sie das Format des Elternfrühstücks im Lauf der Zeit weiterentwickelt. Können Sie das näher erläutern?
T. Süsser: Wir beschäftigen uns in Offenbach schon über 30 Jahre mit dem Thema Elternarbeit, aber es ist und bleibt schwierig das Interesse insbesondere jener Eltern zu gewinnen, die man erreichen will. Das ist wie bei den Elternabenden in der Schule: Es kommen oft nur die Eltern, die man eigentlich gar nicht erreichen muss, weil sie bereits gut informiert sind und sich um die Zukunft ihrer Kinder kümmern. Nichtsdestotrotz wollen wir selbstverständlich auch die interessierten Eltern beraten.
Das IHK-Elternfrühstück ist bis heute 15 Mal umgesetzt worden. Bei der Bildungsmesse haben wir es jetzt zweimal angeboten, 2018 wird es das dritte Mal sein. Zuvor wurde es dreimal im Jahr unter der Woche vormittags in der IHK durchgeführt. Wir haben uns aber dafür entschieden, es nur noch bei der Bildungsmesse anzubieten, weil wir da die Eltern besser erreichen. Bei den letzten Aktionen des Elternfrühstücks in der IHK hatten wir keine 20 Anmeldungen mehr. Beim Elternfrühstück auf der gOFfit hingegen waren 70 bis 80 Personen. Daher werden wir uns auch in Zukunft auf dieses Format konzentrieren.
C. Lutz: Das erste Elternfrühstück in Wiesbaden hatten wir 2016 an einem Samstagvormittag im November angeboten. Wir haben überlegt, ob wir das Elternfrühstück in dieser Form 2017 wieder anbieten und haben uns dagegen entschieden. Wir bieten es – und da kommt jetzt OloV ins Spiel – als OloV-Angebot während unserer Ausbildungsmesse im Mai 2018 an. Die Ausbildungsmesse findet an einem Freitag und Samstag statt. In den vergangenen Jahren haben wir festgestellt, dass samstags sehr viele Eltern anwesend sind. Das Elternfrühstück wollen wir dann genauso wie bei der erstmaligen Durchführung bewerben. Wir haben einen großen Raum im RheinMain CongressCenter gemietet und werden es vielleicht auch so machen, dass wir zwei, drei Themeninseln, z. B. zum dualen Studium oder zum Handwerk, bereitstellen. Die Entscheidung hierzu muss aber erst noch im OloV-Team getroffen werden.
M. Sittig: Steht die Veranstaltung in Offenbach ebenfalls im Zusammenhang mit OloV? Wurde beispielsweise das OloV-Netzwerk genutzt, um über das Elternfrühstück zu informieren?
T. Süsser: Ja genau, im Rahmen von OloV stehe ich in Kontakt mit den Ansprechpersonen für Berufs- und Studienorientierung beim Staatlichen Schulamt (AP BSO). Sie verteilen die Einladungen für die Schulen und informieren die Schulkoordinationen (SchuKo). Außerdem wird die OloV-Steuerungsgruppe über die Veranstaltung informiert.
Fazit: Elternfrühstück als leicht zu organisierendes Angebot
M. Sittig: Gibt es noch etwas, was Sie ergänzen möchten?
C. Lutz: Ich halte das Elternfrühstück letztlich für einen sehr leicht zu organisierenden Weg, um Eltern für das duale Ausbildungssystem zu sensibilisieren. Das war kein Riesenaufwand. Aufwändig waren die Recherche der Adressen und das Formulieren eines ansprechenden Anschreibens.
Auf dem Elternfrühstück haben wir zum Teil die Rückmeldung bekommen, dass das Anschreiben den Eltern zu offen war. Manche hatten gedacht, sie müssten sich zwei Stunden Vorträge anhören. So hatten wir das Elternfrühstück aber nicht konzipiert: Wir wollten, dass offene Gespräche zustande kommen, deshalb waren wir mit vielen Beratungsfachkräften vor Ort. Das hat zu 80 Prozent gut funktioniert. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass einige Eltern dachten: "So ganz konkrete Fragen habe ich eigentlich nicht. Ich hätte gedacht, die erzählen mir jetzt alles Mögliche."
Darauf würde ich das nächste Mal reagieren, indem wir Themenbereiche schaffen, z.B. gezielt zum dualen Studium beraten und vielleicht noch zu Weiterbildungsmöglichkeiten nach der Ausbildung, Karriereperspektiven etc., um diesem allgemeinen Bedürfnis der Eltern entgegenzukommen, vielleicht doch mehr Fakten von uns zu erfahren, als jetzt tatsächlich eigene Fragen zu stellen. Das werden wir uns noch einmal überlegen.
M. Sittig: Herr Süsser, plant die IHK Offenbach weitere Aktivitäten im Rahmen der Elternarbeit?
T. Süsser: Unsere Elternarbeit möchten wir gerne ausweiten und sind derzeit im Gespräch mit der Regionalen OloV-Koordination der Stadt Offenbach. Im Rahmen der Elternarbeit wird dort auch eine Art Elternfrühstück beim internationalen Frauentreff im Café Miriam durchgeführt. Wir planen, diesbezüglich in nächster Zeit zusammenzuarbeiten.
M. Sittig: Vielen Dank für das Interview.