Zum Inhalt springen Menü Menü

Sie sind hier:

Einsatz von YouTube und Erklärvideos in der Berufsorientierung

Markus Gitter, Justus-Liebig-Universität Gießen

Dieser Beitrag fasst die Publikationen von Gitter (2019), Gitter (2020a), Gitter (2020b) sowie Gitter & Hafner (i.E) zusammen und verschränkt diese.

Die Berufs- und Arbeitswelt sowie die Lebenswelt von Individuen werden durch den digitalen Wandel erheblich verändert. Eine immer stärkere Fusionierung zwischen realer und virtueller Welt und eine entsprechend notwendige neue Kompetenzgenese ist die Folge (vgl. Friese 2020, S 38). Die Omnipräsenz digitaler Medien sowie ein zeit- und ortsunabhängiger Internetzugriff ermöglichen eine dauerhafte Wissen- und Informationsbeschaffung. Somit steht auch das Handlungsfeld der Berufsorientierung vor neuen Herausforderungen (vgl. Gitter & Hafner i.E).

YouTube und Berufsorientierung

In formalen Berufsorientierungsprozessen haben digitale Medien in Ergänzung zu klassischen Instrumenten Einzug gehalten. So sind z. B. traditionelle Methoden und Instrumente in „Tools“ digital umgewandelt und online-gestützt zugänglich. Ebenfalls gewinnen audiovisuelle Medien in Form von (Erklär-)Videos für Berufswahlprozesse an Bedeutung. Es bestehen bereits vielfältige Angebote an Videoformaten („berufe.TV“, „watchado“ etc.), die von Jugendlichen zur informellen Informationsbeschaffung hinzugezogen werden (vgl. ebd.). Am häufigsten wird jedoch die partizipative Videoplattform YouTube zur Informationsbeschaffung im Hinblick auf eine mögliche Berufsorientierung genutzt (vgl. ebd.).

Die Studie des Rats für kulturelle Bildung (2019) „JUGEND / YOUTUBE / KULTURELLE BILDUNG. HORIZONT 2019“ zeigte auf, dass YouTube-Videos die Neugierde der Jugendlichen wecken, sie begeistern, motivieren und in ihren Interessen unterstützen können, hierbei werden tradierte Rollenmuster (z.B. geschlechtsspezifische Interessenzuschreibungen) ersichtlich (vgl. Rat für kulturelle Bildung 2019, S. 7). Innerhalb dieser tradierten Rollenmuster kommen die Jugendlichen „[…] in Kontakt mit Angeboten, Ästhetisierungsformen und Möglichkeiten, die sie vorher nicht kannten“ (ebd.). „Die weitere Tatsache, dass die Studie hervorbrachte, dass sich die 12- bis 19-Jährigen bei ihren Kulturinteressen durch die Videos bestärkt und angeregt fühlen und die Kulturinteressen der Jugendlichen stark mit der eigenen Berufsorientierung und der späteren Berufswahl korrelieren (vgl. Hirschi 2013), zeigt die Bedeutung audiovisueller Medien für diesen Bereich“ (Gitter & Hafner i.E).

Auf YouTube existiert eine Bandbreite an Videos und Kanälen, die unterschiedliche Berufsfelder und deren Darstellung fokussieren und eine Orientierung am Arbeitsmarkt bieten wollen (z.B. AzubiTV, Duale Ausbildung, Ausbildung.de, Berufezappen, Dein erster Tag etc.). Diese Videos können nicht nur Wissen, Informationen und Anregungen weitergegeben, sondern auch Kenntnisse und Fähigkeiten (vgl. Rat für kulturelle Bildung 2019, S 23). Besonders Tutorials, die zum Nachahmen einladen, können zu einer Simulation einer realen beruflichen Handlungssituation führen und so das Interesse an verschiedenen Berufen und Berufsfeldern fördern (vgl. Gitter & Hafner i.E).

Einsatz von YouTube und Erklärvideos in formalen Bildungskontexten

Im Hinblick auf den Einsatz von YouTube und Erklärvideos in formalen Bildungskontexten rückt neben der Rezeption auch die Eigenproduktion solcher Videos in den Mittelpunkt. Dabei können u.a. drei Szenarien unterschieden werden (vgl. Gitter 2019; vgl. Gitter 2020b; vgl. Gitter & Hafner i.E):

  1. Produktion durch Lehrperson – Rezeption durch Lernende

    In diesem Fall gibt es u.a. zwei Einsatzmöglichkeiten:

    a.) Eine durch die Rezeption entstehende Vermittlung neuer Lerninhalte oder eine Vertiefung bestehender Inhalte. Initiiert durch den Einsatz in der Präsenzlehre (als Einstieg, Abschluss oder Diskussionsgrundlage)

    b.) Die Bereitstellung von eigenproduzierten Erklärvideos via Lern- oder Onlineplattformen.
    Auf diese Art und Weise sind diese auch außerhalb der eigentlichen Präsenzlehre abrufbar und können individuell genutzt werden.

    Mit Fokus auf formale Berufsorientierungsprozesse ist bei der Produktion von Erklärvideos seitens der Lehrkräfte darauf zu achten, dass eher beständige Prozesse und Routineabläufe (z.B. Bewerbungen schreiben) in ein Videoformat überführt werden. Auf diese Weise lässt sich das Verhältnis von Aufwand und Nutzen optimieren: Es können Synergien mit anderen Lehrkräften geschaffen und die Videos können häufiger (ohne Änderungen) eingesetzt werden. Dadurch entstehen modular gestaltete Lernmaterialien, die sich z.B. für den Einsatz in Flipped-Classroom-Szenarien eignen.

  2. Produktion durch Lernende – Rezeption durch Lehrende

    Hier liegt der Fokus auf der pädagogischen Diagnostik. Lernende könnten beispielsweise in Form eines Tagebuches begleitend ihr Betriebspraktikum filmen (z.B. Realaufnahmen und Interviews). So können die produzierten Videos als Ergebnissicherung und Leistungsnachweis anstelle von Portfolios (z.B. Praktikumsberichte) dienen.

  3. Produktion durch Lernende – Rezeption durch Lernende

    Das dadurch entstehende Lehr-Lernszenario lässt sich am besten durch das Prinzip „Lernen durch Lehren“ oder „Peer-Learning“ beschreiben. Lernende könnten so z.B. Werbefilme über ihren Praktikumsbetrieb filmen und dabei ihre Tätigkeiten während des Praktikums beschreiben. So können weitere Lernende motiviert werden, ebenfalls ein Praktikum in dem entsprechenden Bereich zu absolvieren, oder können sich bewusst dagegen entscheiden.

Die Eigenproduktion von Erklärvideos umfasst neben der intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik des Videos u.a. eine Stärkung von Medienkompetenzen, kreativ-exploratives Lernen sowie die Analyse und Reflexion der eigenen Performance (z.B. als Moderatorin/ Moderator) (vgl. Schlegel 2016, S 5).

Eigenproduktion von Erklärvideos

Für die Videoproduktion stehen unzählige Hard- und Softwaremöglichkeiten bereit (vgl. Gitter 2019; vgl. Gitter 2020b; vgl. Gitter & Hafner i.E). Im Bildungskontext sind Angebote, die kostengünstig bis kostenfrei sind und trotzdem einen hohen Qualitätsstandard versprechen von besonderer Bedeutung. Hierzu zählen bspw. die kostenfreien Videobearbeitungsprogramme iMovie (Apple) und MovieMaker (Windows). Videos, die zuvor mit entsprechender Hardware gedreht wurden (z.B. Kamera, Tablet, Smartphone o.ä.), können dann für die Postproduktion in die Software eingepflegt und dort bearbeitet werden. Zur Postproduktion zählen u.a. der Schnitt, die Möglichkeit der Vertonung, das Unterlegen mit Hintergrundmusik und das Einfügen von Titeln und Beschriftungen. Der klassische Produktionsvorgang besteht also aus mehreren Bearbeitungsschritten, die unterschiedliche Werkzeuge erfordern.

Mittlerweile besteht die Möglichkeit, durch den Einsatz innovativer Software, sog. Erklärvideo-Creators, eine Videoproduktion noch stärker anzuleiten und zu vereinfachen. Hierzu zählt beispielsweise die Software „mySimpleshow“. Diese ist für den Bildungskontext kostenfrei und bietet eine leicht zu bedienende, browserbasierte Text-zu-Video-Anwendung im Stil der Legetrick-Technik (vgl. Gitter 2019, S. 97). Durch ein hohes Maß an künstlicher Intelligenz bebildert die Software automatisch den eingegebenen Text. Diese Bebilderung kann dann individuell angepasst und verändert werden. Dank der Rahmung und Anleitung der Produzierenden durch die Software reduziert sich das Risiko einer „Fehlproduktion“. Auch eine Verletzung des Urheberrechts wird durch die automatische Bereitstellung von Bildern und Musik vermieden. Somit ermöglicht solche Software einen niedrigschwelligen Produktionseinstieg und eignet sich auch für Personen, die noch keine oder wenig Erfahrung mit der Videoproduktion haben. Dies gilt sowohl für Lernende als auch für Lehrende (vgl. Gitter 2019, S. 97).

Fazit und Handlungsempfehlungen

Wie eingangs ausgeführt, bestehen für Jugendliche im Kontext der Berufsorientierung zwei Bildungswelten, die parallel zueinander existieren und formal nicht verschränkt werden. Zurzeit sind es die Jugendlichen selbst, die YouTube für ihre informelle und formale Bildung ganz selbstverständlich heranziehen, und so versuchen, sich eine gemeinsame Bildungswelt zu kreieren.

Im Hinblick auf formale Berufsorientierungsprozesse existieren Potenziale auf der partizipativen Videoplattform YouTube. Ferner bietet die niedrigschwellige Eigenproduktion von Erklärvideos und deren Einbindung in Lehr-Lernszenarien einen Mehrwert, der im Moment innerhalb formaler Bildungsprozesse ebenfalls noch nicht ausgeschöpft wird. Mit der Bedeutung audiovisueller Medien für die Informationsbeschaffung von Jugendlichen wächst jedoch die Notwendigkeit, diese auch in formale Bildungsprozesse einzubinden. Für Lehrende gilt es daher, offen für neue und innovative Möglichkeiten zu sein. Bei der Videoproduktion sollten Lehrende durch „Trial and Error“ eigene Erfahrungen sammeln und dadurch neue Kompetenzzuwächse erzielen. Von diesen Kompetenzzuwächsen werden unweigerlich auch die Lernenden profitieren: Damit rücken die Lehr-Lernszenarien näher an die Lebenswelt der Jugendlichen heran.

Literaturverzeichnis

Friese, Marianne (2020): Berufliche Orientierung. Anforderungen an die Lehrkräftebildung für allgemeinbildende und berufliche Schulen. In: Bünning, Frank/Dick, Michael/Jahn, Robert W./Seltrecht Astrid (Hrsg.): Zwischen Ingenieurpädagogik, Lehrkräftebildung und betrieblicher Praxis, Bielefeld: wbv, S. 41-56.

Gitter, Markus (2019): Eigenproduktion von Erklärvideos in der Lehramtsausbildung der beruflichen Fachrichtung Ernährung und Hauswirtschaft. In: HiBiFo 3/2019, S. 86-101.

Gitter, Markus (2020a): Erklärvideos in der hauswirtschaftlichen Berufsausbildung. In: berufsbildung. Zeitschrift für Theorie-Praxis-Dialog. Care Work 4.0. Heft 181. Paderborn: Eusl-Verlag, S.16-18.

Gitter, Markus (2020b): Videos in der Lehrerbildung. In: Rützel, Josef; Friese, Marianne; Wang, Jiping (Hrsg.): Darmstädter Beiträge zur Berufspädagogik. Digitale Welt – Herausforderungen für die berufliche Bildung und die Professionalität der Lehrenden. Ergebnisse des 5. und 6. Chinesisch-Deutschen Workshops zur Berufsbildungsforschung. Paderborn: Eusl Verlag, S. 211-22

Gitter, Markus; Hafner, Clemens (i.E): Berufsorientierung und YouTube? Die Darstellung hauswirtschaftlicher Dienstleistungsberufe auf der partizipativen Videoplattform. In: Friese, Marianne (Hrsg.): Care Work 4.0. Digitalisierung in personenbezogenen Dienstleistungsberufen.

Hirschi, Andreas (2013): Berufswahltheorien – Entwicklung und Stand der Diskussion. In: Brüggemann, Tim; Rahn, Sylvia (Hrsg.): Berufsorientierung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann. S. 27-41.

Rat für kulturelle Bildung (2019). Jugend/YouTube/Kulturelle Bildung. Horizont 2019. Repräsentative Umfrage unter 12- bis 19-Jährigen zur Nutzung kultureller Bildungsangebote an digitalen Kulturorten.

Schlegel, Frank (2016): Erklärvideos im Unterricht - Einstieg in die Filmbildung mit YouTube-Formaten - Workshop für Lehrkräfte und MedienberaterInnen, www.lwl.org/film-und-schule-download/Unterrichtsmaterial/Erklärvideos-im-Unterricht.pdf (Abfrage: 05.08.2020).

Stand: 03.12.2020

Zurück zum Seitenanfang