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Serious Games 1: Berufliches Explorieren mit „like2be“

Christopher Keller & Elena Makarova, Universität Basel

Der Berufswahlprozess beginnt im frühen Kindheitsalter und reicht über das Jugendalter hinaus. Zu Beginn haben Kinder persönliche Traumberufe. Meist entstehen sie durch die Identifikation mit ihren Idolen oder Vorbildern. Später konkretisieren sie ihren Berufswunsch. Individuelle Interessen, Werte als auch berufsbezogene Kenntnisse sowie Rückmeldungen und Empfehlungen von Eltern, Verwandten, Gleichaltrigen oder Lehrperson spielen dabei eine gewichtige Rolle. Die Berufswahl wird anschließend durch eine gezielte Suche nach Informationen über Berufe und durch eine Exploration im Berufsfeld vervollständigt. Infolge wird eine Ausbildung ins Auge gefasst und die Suche nach einer Ausbildungsinstitution beginnt (Herzog, Neuenschwander & Wannack, 2006).

Die Berufswahl von Jugendlichen

Im Fokus der Suche nach einer Ausbildungsinstitution steht das Erzielen einer bestmöglichen Passung zwischen Person und Beruf. So müssen eigene Interessen und Fähigkeiten mit dem Ausbildungsangebot in Einklang gebracht werden (Herzog & Makarova, 2020). Ist diese Passung besonders harmonisch, wird angenommen, dass die Grundlagen für eine erhöhte Produktivität sowie Berufszufriedenheit gegeben sind (Herzog, Neuenschwander & Wannack, 2006). Nicht selten entwickelt sich die angebliche Berufswahl zu einem Berufskompromiss, wenn sich die Anzahl akzeptabler Berufe auf ein Minimum reduziert; nicht zuletzt aufgrund persönlicher Vorstellungen, ob die Berufe zum eigenen Geschlecht passen. So konnte gezeigt werden, dass die Berufswahl von Jugendlichen vielfach einem geschlechtstypischen Muster folgt. Ausschlaggebend sind vor allem das soziale Prestige eines Berufs sowie die berufliche Geschlechtstypik, welche einzelne Berufe in frauentypische, männertypische oder geschlechtsneutrale Berufe einteilt (Makarova & Teuscher, 2018).

Um solchen Einschränkungen im Berufswahlspektrum entgegen zu wirken, wurde in der Schweiz ein fächerübergreifender Berufswahlunterricht, namentlich Berufliche Orientierung, in das Volksschulcurriculum Lehrplan21 integriert. Die Lehrpersonen sollen dabei eine begleitende Rolle einnehmen und das intensive Explorieren und die Kooperation mit schulischen sowie außerschulischen Akteuren begünstigen. Die Jugendlichen erarbeiten sich so die notwendigen Voraussetzungen um zum Ende der obligatorischen Schule eine bewusste Berufswahl zu treffen, die bestmöglich mit dem individuellen Leistungs- und Interessenprofil korreliert (D-EDK, 2016). Für einen solchen Berufswahlunterricht werden aktuelle und altersgerechte Lernangebote benötigt, die individualisierenden und differenzierenden Unterricht begünstigen. Ein innovatives Tool stellt das Serious Game like2be dar.

Das Serious Game like2be

Serious Games sind digitale Lernspiele, welche explizit mit einer pädagogischen Absicht für eine bestimmte Zielgruppe entwickelt wurden (Hainey, Connolly, Stansfield & Boyle, 2011). Ihr wertvolles Potential für die Schule basiert auf der Entwicklungsphase, in der die Bedürfnisse und Fähigkeiten einer Zielgruppe genau analysiert und im Gamedesign-Prozess berücksichtigt werden. Daraus entstehen maßgeschneiderte Lernangebote, die Lernen und Spaß kombinieren und so eine Steigerung der intrinsischen Lernmotivation begünstigen (Breitlauch, 2012).

Das Serious Game like2be wurde explizit nach den curricularen Vorgaben für das Schulfach Berufliche Orientierung in der Schweiz entwickelt und richtet sich an Jugendliche, die sich mitten im persönlichen Berufswahlprozess befinden und eine Berufswahlentscheidung treffen müssen. Like2be ist kostenlos und online unter www.like2be.ch in deutscher, französischer sowie italienischer Sprache verfügbar (Makarova, Lüthi & Hofmann, 2017).

Wer like2be spielt, schlüpft in die Rolle einer Stellenvermittlerin/eines Stellenvermittlers. Spielerinnen und Spieler müssen in möglichst kurzer Zeit Bewerberinnen und Bewerber zu einer passenden Arbeits- oder Ausbildungsstelle zuordnen. Bevor sie per Knopfdruck die Personen den vakanten die Stellen vermitteln, müssen sie jedoch die Bewerbungsportfolios der Bewerbenden sowie die Anforderungen der vorhandenen Stellen studieren. Wird erfolgreich vermittelt, steigt der Schwierigkeitsgrad. Können die Bewerberinnen oder Bewerber nicht vermittelt werden oder werden sie unpassenden Stellen zugeordnet, verlieren die Spielerinnen und Spieler ihre virtuelle Anstellung in der Stellenvermittlungs-Agentur und müssen das Spiel neu starten.

Like2be bietet Jugendlichen die Möglichkeit ihren persönlichen Berufswahlhorizont zu erweitern, indem sie ihr Wissen über Berufe auf eine spielerische Art und Weise vertiefen und neue, bisher unbekannte Berufe entdecken. Im Zuge des spielerischen Explorierens vergleichen sie eigene Berufswünsche und Fähigkeiten mit jenen der Bewerberinnen und Bewerbern, die in like2be vorkommen. Das regt die Jugendlichen dazu an, ihre eigene berufliche Orientierung zu reflektieren. Abschließend werden bei jedem Spielstart die vorhandenen Bewerbungsmappen willkürlich den Bewerberinnen/Bewerbern zugeordnet. Wer erfolgreich vermitteln will, muss die in den Bewerbungsmappen ersichtlichen beruflichen Präferenzen und Fähigkeiten mit den Anforderungen der verfügbaren Stellen vergleichen. Voreilige oder stereotypische Vermittlungen hemmen die Aussicht auf Spielerfolg, womit Spielerinnen und Spieler indirekt für (gender-)atypische Berufswahlentscheidungen und Lebensentwürfe sensibilisiert werden (ebd., 2017).

Die Wirksamkeit von like2be

Inwieweit Serious Games jugendliche Schülerinnen und Schüler in ihrer beruflichen Orientierung unterstützen, wurde in der empirischen Forschung bis dato unzureichend untersucht. Im Hinblick auf die Wirksamkeit des Spiels like2be liegen zwei Studien vor.

Erstere fokussierte sich auf die Einschätzung von deutschen Lehramtsstudierenden mit Berufsziel Lehrerin/Lehrer an Gymnasien/Gesamtschulen, Berufsschulen oder Haupt-/Real-/Sekundär- und Gesamtschulen. Sie schätzten like2be als vielversprechendes Instrument zur Einführung und Erweiterung der Berufswahlkenntnisse ein. Im Weiteren finden die angehenden Lehrpersonen, dass like2be einerseits als Input für einen Diskussionsanlass im Berufswahlunterricht und andererseits zur Intensivierung der Beschäftigung mit der individuellen Berufswahl im Unterricht eingesetzt werden kann. Gemäß ihren Einschätzungen eignet sich like2be jedoch weniger dazu, generelle Schwierigkeiten während der Berufswahlfindung oder stereotype Zuschreibungen der Geschlechtstypik zu Berufen abzubauen. Die Studie kommt zum Schluss, dass Lehrpersonen eine differenzierte Qualifizierung hinsichtlich des Einsatzes von digitalen Medien und im Bereich einer gendersensiblen Berufsorientierung benötigen (Driesel-Lange, Makarova & Kieslich, 2019).

Im Zuge der zweiten Studie wurde analysiert, ob jene Jugendlichen, die like2be spielten, ihre Kenntnisse über Berufe erweitern und das Interesses an Berufen intensivieren konnten. Die quasi-experimentelle Pilotstudie zur Wirksamkeit von like2be umfasste 244 jugendliche Schülerinnen und Schüler aus der Deutschschweiz. Die Ergebnisse aus der Datenanalyse zeigten, dass like2be zwar positive Effekte auf die Kenntniserweiterung das Interesse bewirkte jedoch in bescheidenem Ausmaß. In der Diskussion der Ergebnisse wurde auf die Notwendigkeit eines fundierten methodisch-didaktischen Konzepts zur effektiveren Implementation von like2be in den Schulunterricht Berufliche Orientierung hingewiesen (Keller, Makarova & Döring, 2021, im Druck).

Ein fundiertes methodisch-didaktisches Konzept, das die Lehrpersonen unterstützt like2be effektiv in den Schulunterricht einzubetten, ist derweil noch ausstehend. Jedoch ist ein kostenloses und vielversprechendes Kartenset mitsamt Spielbeschrieb und Ideen zur Vertiefung in dem Feld der Berufswahl zum Download verfügbar unter http://like2be.ch/content/2-educational-resources/1-de/1-kartenset/kartenset-like2be.pdf.

Like2be im Schulunterricht

Die Unterrichtsideen zur Vertiefung in dem Kartenset like2be wurden in drei unterschiedliche Vertiefungsaktivitäten aufgeteilt:

  1. Zur Vertiefung mit der Aktivität Vielfalt der Berufswelt notieren sich Jugendliche zunächst interessante Berufe. Über diese informieren sie sich im Internet (z.B. unter www.berufsberatung.ch). Sie erstellen ein Berufsnetz über die Berufe, welche ihr Interesse wecken (die Druckvorlage ist im Kartenset vorhanden). Dazu bewerten sie, inwiefern folgende vorgegebene Kriterien mit einem Beruf einhergehen: Sozial/mit Menschen, Gewissenhaft/Sorgsam, Unternehmerisch/Strategisch, Technisch/Praktisch, Intellektuell/Forschend, Künstlerisch/Kreativ. Diese Einschätzungen zeichnen sie auf der Druckvorlage ein, womit das Berufsimage auf einem sechseckigen Kriterien-Netz abgebildet wird. Die Jugendlichen können ihre Netz-Abbildungen miteinander vergleichen und darüber debattieren, welches Berufsimage zu ihnen persönlich passen würde.
     
  2. Die vertiefende Aktivität Stereotype Berufsbilder folgt der Spiellogik des Spiels «Wer bin ich?». Dabei hält eine Spielerin/ein Spieler eine Karte mit einem Portrait eines in like2be vorkommenden Avatars hoch. Die Mitspielerinnen/Mitspieler müssen nun den Beruf des Avatars mittels Ja-Nein-Fragen erraten. So sollen Jugendliche ein Bewusstsein für geschlechterstereotype Wahrnehmungen von Berufen entwickeln sowie geschlechtsspezifische Stereotype kritisch hinterfragen und ihre eigene Berufswahl hinsichtlich der Geschlechtstypik reflektieren.
     
  3. Die dritte Aktivität, Lebensläufe & Berufswege, folgt einer ähnlichen Spiellogik. Die Vorderseite der Spielkarte zeigt das Portrait eines in like2be vorkommenden Avatars sowie ein Zitat. Mitspielerinnen/Mitspieler müssen mit Ja-Nein-Fragen erraten, wie sich die berufliche Karriere des Avatars in den vergangenen zehn Jahren verändert hat. Die wahre Geschichte kennt nur die Spielerin/der Spieler mit der Karte in der Hand und wird erst im Anschluss an das Spiel vorgelesen. Die Jugendlichen lernen, dass Lebensläufe und Berufswege vielseitig und flexibel sein können.

Fazit und Ausblick

Das Serious Game like2be wurde im Hinblick auf die curricularen Vorgaben des Schulfachs Berufliche Orientierung im Schweizer Volksschulcurriculum Lehrplan21 entwickelt. Erste Studien zeigen einerseits, dass like2be im Schulunterricht die Jugendlichen dabei unterstützt ihren Berufswahlhorizont zu erweitern. Andererseits verweisen sie auf die Notwendigkeit eines fundierten methodisch-didaktischen Unterrichtskonzept, damit like2be effektiv in den Schulunterricht implementiert werden kann. Ob und in wie fern sich like2be in deutschen oder österreichischen Bildungssystemen profilieren kann, bleibt noch offen.

Literaturverzeichnis

Breitlauch, L. (2012). Conceptual Design for Serious Games Regarding Didactical and Playfully Requirements. In: J. Wimmer, K. Mitgutsch, & H. Rosenstingl (Hrsg.). Applied Playfulness. Proceedings of the Vienna Games Conference 2011: Future and Reality of Gaming (S. 91-97). new academic press.

Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz D-EDK (2016). Lehrplan 21. Broschüre Berufliche Orientierung 2016. https://v-fe.lehrplan.ch/container/V_FE_DE_Modul_BO.pdf (11.11.2020).

Driesel-Lange, K., Makarova, E., & Kieslich, K. (2019). Potenziale zur Förderung gendersensibler Berufsorientierung. In: F. Gramlinger, C. Iller, A. Ostendorf, K. Schmid, & G. Tafner (Hrsg.). Bildung = Berufsbildung?! (S. 353-366). Bielefeld: wbv Publikation

Hainey, T., Connolly, T., Stansfield, M., & Boyle, L. (2011). The Use of Computer Games in Education. A review of the Literature. In: F. Patrick (Hrsg.). Handbook of Research on Improving Leanring and Motivation through Educational Games (S. 29-50). Hershey: Information Science Reference.

Herzog, W., Neuenschwander, M. P., & Wannack, E. (2006). Berufswahlprozess. Wie sich Jugendliche auf ihren Beruf vorbereiten. Bern: Haupt.

Herzog, W. & Makarova, E. (2020). Berufsorientierung als Copingprozess. In T. Brüggemann & S. Rahn (Hrsg.), Berufsorientierung – Ein Lehr- und Arbeitsbuch (2., überarbeitete und erweiterte Auflage, p. 73-82). Münster: Waxmann.

Keller, C., Makarova, E., & Döring, A. K. (2021, im Druck). Förderung der Exploration im Berufswahlprozess mit Serious Games am Beispiel von like2be.

Makarova, E., Lüthi, J., & Hofmann, M. (2017). Innovative Wege einer gendersensiblen Berufsorientierung: Das elektronische Lernspiel like2be. In: T. Brüggemann, K. Driesel-Lange, & C. Weyer (Hrsg.). Instrumente zur Berufsorientierung - Pädagogische Praxis im wissenschaftlichen Diskurs (S. 239-252). Münster: Waxmann Verlag GmbH.

Makarova, E. & Teuscher, S. (2018). Trajektorien der beruflichen Geschlechtstypik: Eine Studie zur Rekonstruktion von berufsbiographischen Übergangen. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 38(4), S. 380–403.

Stand: 08.12.2020

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