Sie sind hier:
Serious Games 2: Selbstwirksamkeit erfahren mit dem Adventure Game „Serena Supergreen“
Interview mit Dr. Pia Spangenberger, Technische Universität Berlin
Das Chamäleon sitzt im Dunkeln, eine Windkraftanlage muss repariert werden, und am Ende winkt ein Urlaub mit den Freundinnen auf einer paradiesischen Insel? Kein Problem für Serena Supergreen. Sie ist die Heldin eines Lernspiels für die Berufliche Orientierung im technischen Bereich, das sich nicht nur an Mädchen richtet. Im Interview berichtet Dr. Pia Spangenberger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre der Technischen Universität Berlin über das Spiel „Serena Supergreen und der abgebrochene Flügel“ und die Einsatzmöglichkeiten von Serious Games in der Beruflichen Orientierung.
Worin liegt aus Ihrer Sicht der Vorteil von Serious Games im Vergleich zu traditionellen Unterrichtsmethoden? Was macht Serious Games für die Berufliche Orientierung besonders interessant?
Serious Games eignen sich neben der Förderung bestimmter Lernziele auch, um das Interesse an Themen zu wecken, mit denen sich Schüler*innen in der Regel gar nicht oder nicht so gerne auseinandersetzen. Ein gutes Serious Game kann motivationale Anreize setzen, sich einen neuen Lerninhalt zu erschließen. Weiterhin können die Konsequenzen von individuellen Entscheidungen sofort sichtbar gemacht und direktes Feedback gegeben werden. Auf diese Weise können sich Schüler*innen im geschützten Raum ausprobieren. Für die Berufsorientierung können Serious Games also vielfältige Möglichkeiten schaffen, Aufgaben oder Fertigkeiten spielerisch zu erproben. Darüber hinaus schaffen digitale Spiele auch Erfahrungswelten, mit denen sie in ihrem Alltag gar nicht in Berührung kommen, im Fall von SERENA z.B. das Abseilen an einer Windkraftanlage.
Durch die Einbindung von Rollenvorbilden im Spiel Serena haben wir außerdem versucht, stereotypischen Berufsvorstellungen entgegenzuwirken, indem wir weibliche Vorbilder integriert haben, die technische Aufgaben erfolgreich meistern. In Spielen kann also das Narrativ so gewählt werden, dass es Identifikationsmöglichkeiten über Spielecharaktere schafft, die in unserer Gesellschaft bzw. in den Medien bislang weniger präsent sind. Zudem haben wir uns für das Arbeitsfeld Erneuerbare Energien entschieden, um den gesellschaftlichen Beitrag technischer Ausbildungsberufe in den Vordergrund zu stellen. Denn viele Jugendliche möchten mit ihrem Beruf etwas Sinnvolles im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung tun.
In welche Welt versetzt Serena Supergreen die Spieler*innen?
Serena Supergreen ist ein Point-&-Click Adventure, bei dem die Spielenden in die Rolle des Charakters Serena schlüpfen, einem 16-jährigen Mädchen, das gerne mit ihren Freundinnen gemeinsam in Urlaub fahren möchte. Bevor sie jedoch verreisen kann, muss sie sich im Einkaufszentrum einen Nebenjob suchen, um ausreichend Geld für die Reise zu verdienen. Dabei muss sie verschiedene technische Aufgaben bewältigen und erhält Unterstützung durch ihre Freundinnen Myra und Kiki sowie durch weitere Spielcharaktere. Sobald Serena ausreichend Geld verdient hat, geht es auf eine einsame Insel, auf der weitere Herausforderungen warten, die es zu meistern gilt.
Wie funktioniert das Spiel und welche Ziele verfolgt es?
Das Spiel ist linear aufgebaut, d.h. sobald die Spielenden die Aufgaben in einem Level erfolgreich gemeistert haben, schalten sich weitere Level im Spielverlauf frei. Die Aufgaben im Spiel sind so konzipiert, dass sie die Selbstwirksamkeit beim Lösen technischer Aufgaben fördern. Damit verfolgt das Spiel das Ziel, dass sich Spielende mit einem geringen Fähigkeitsselbstkonzept im Bereich Technik anschließend technische Aufgaben eher zutrauen.
Selbstwirksamkeit im Bereich Technik ist insbesondere bei Mädchen ein wichtiger Einflussfaktor, um einen technischen Beruf in Betracht zu ziehen. Trotz ausreichender Qualifikation wählen Mädchen seltener einen technischen Beruf als Jungen. Damit leistet das Spiel einen Beitrag zur geschlechtergerechten Berufsorientierung im Bereich Technik.
Das Spiel wurde während des Entwicklungsprozesses ausgiebig in der Praxis getestet. In welchen Lernsituationen lässt es sich Ihrer Erfahrung nach einsetzen, wie kann es didaktisch eingebettet werden?
Im Begleitmaterial zum Spiel findet sich sowohl ein umfangreiches Unterrichtskonzept zur Berufsorientierung für das Fach Arbeit-Wirtschaft-Technik – die Bezeichnung kann in Abhängigkeit vom Bundesland variieren – als auch eine Aufbereitung für fächerspezifische Lerninhalte: LED, Solarwärme, Solarstrom, Windstrom, Elektromobilität und Energiesparen. So ist das Spiel auch für Unterrichtsfächer wie Physik oder Chemie nutzbar. Damit einher gehen sogenannte Sprungcodes, mit deren Hilfe Lehrkräfte das Spiel in bestimmten Levels starten können. Die praktische Umsetzung im Unterricht kann dann entweder als Hausaufgabe erfolgen, dass also die Schüler*innen das Spiel selbstständig zuhause spielen, oder im Rahmen eines Projekttags. Die didaktische Aufarbeitung kann anschließend in regulären Unterrichtsstunden stattfinden.
Welche Erfahrungen haben Sie bei der Erprobung des Spiels gemacht?
Wir haben bislang die Erfahrung gemacht, dass die Schüler*innen unabhängig von der Schulform sehr offen gegenüber Serious Games sind und auch sehr konzentriert das Spiel im Unterricht gespielt haben.
Das Spiel wurde zwar an den Bedürfnissen von Mädchen ausgerichtet, eignet sich aber sowohl für Jungen als auch für Mädchen. Wir haben in all unseren Untersuchungen Jungen miteinbezogen und das Spiel wurde sehr gut angenommen, unabhängig vom Geschlecht. Wenn es Unterschiede in der Wahrnehmung des Spiels gab, waren diese eher auf Vorlieben für andere Arten von Computerspielen zurückzuführen.
Unterschiede in der Erprobung gab es allerdings im Hinblick auf die technische Ausstattung an Schulen: Es gab Schulen, die mit ausreichend Tablets oder modernen Computern ausgestattet waren, und es gab Schulen, bei denen dies nicht der Fall war. Wenn es dann eine Stunde dauert, bis wirklich alle Schüler*innen das Spiel spielen können, weil bspw. ein Rechner eine kaputte Grafikkarte aufweist, bringt das Unruhe in das Geschehen und kann für wenige Schüler*innen dann mit Frustration einhergehen. Der Einsatz eines Serious Games im Unterricht sollte daher sehr gut vorbereitet sein.
Wovon hängt der Erfolg beim Einsatz von Serious Games in einer pädagogischen Situation ab?
Die Gewährleistung der technischen Voraussetzung (wie bspw. Vorinstallation des Spiels auf Schulrechnern oder Tablets) ist, wie gesagt, ein wichtiger Punkt. Ansonsten haben wir im Hinblick auf die Beteiligung der Zielgruppe unabhängig von der Schulform sehr positive Erfahrungen mit dem Spiel gemacht.
Grundsätzlich lässt sich empfehlen, direkt bei der Auswahl eines Serious Games sicherzustellen, dass das gewünschte Lernziel tatsächlich im Spiel gefördert wird bzw. eine didaktische Aufarbeitung der Spielerfahrung zum gewünschten Lerninhalt im Unterricht passt.
Wo ist das Spiel erhältlich, zu welchen Konditionen und von wem kann es genutzt werden?
Das Spiel kann kostenlos auf der Webseite serenasupergreen.de für PC/Mac heruntergeladen werden, ist aber auch für Tablet und Smartphone über die gängigen App-Stores erhältlich.
Frau Dr. Spangenberger, herzlichen Dank für das Gespräch.
Serena Supergreen und der abgebrochene Flügel wurde 2015 – 2019 im Rahmen der BMBF-Forschungsvorhaben SERENA und MitEffekt entwickelt und evaluiert. Beteiligt waren: Wissenschaftsladen Bonn e.V., TU Dresden, TU Berlin, das Game Studio the Good Evil sowie Partnerschulen aus Berlin, NRW und Sachsen.
Zielgruppe: Jugendliche im Alter von 12-16 Jahren
Spieldauer: 3 bis 4 Stunden
Kostenfreier Download:
https://serenasupergreen.de
Weitere Informationen: Eine umfangreiche Dokumentation zu den pädagogischen Einsatzmöglichkeiten kann kostenlos bestellt bzw. heruntergeladen werden:
https://verlag.tu-berlin.de/produkt/978-3-7983-3106-8/
Literaturverzeichnis
Spangenberger, Pia; Matthes, Nadine; Kruse, Linda; Draeger, Iken; Narciss, Susanne; Kapp, Felix (2021). Experiences with a Serious Game Introducing Basic Knowledge About Renewable Energy Technologies: A Practical Implementation in a German Secondary School. In: Journal of Education for Sustainable Development. 2020;14(2): 253-270. https://doi.org/10.1177/0973408220981445
Spangenberger, P., Draeger, I., Kapp, F., Matthes, N., Kruse, L., Hartmann, M., & Narciss, S. (2020). Serena Supergreen und der abgebrochene Flügel: Serious Game – Forschungsergebnisse und pädagogische Einsatzmöglichkeiten. Berlin: TU Berlin Verlag. https://verlag.tu-berlin.de/produkt/978-3-7983-3106-8/
Spangenberger, P., Kruse, L., & Kapp, F. (2019). Developing a Serious Game for Girls: Design of Avatars and Non-Player Characters. In: L. Elbæk (Ed.), European Conference on Games Based Learning, The proceedings of the 13th International Conference on Games Based Learning, ECGBL 2019: Hosted by University of Southern Denmark, Odense, Denmark, 3-4 October 2019. Reading, UK: ACPI; Academic Publishing International Limited. https://doi.org/10.34190/GBL.19.061
Spangenberger, P., Draeger, I., Matthes, N., Kapp, F., Kruse, L., & Narciss, S. (2019). „MitEffekt – Mittelfristige Effekte eines Serious Games in Abhängigkeit der didaktischen Einbettung und des konkreten Spielverhaltens“ : Schlussbericht : Laufzeit: 09/2017 bis 02/2019. Berlin. https://doi.org/10.2314/KXP:1687213909
Kapp, F., Spangenberger, P., Kruse, L., & Narciss, S. (2019). Investigating changes in self-evaluation of technical competences in the serious game Serena Supergreen: Findings, challenges and lessons learned. Metacognition and Learning, 14(3), 387–411. https://doi.org/10.1007/s11409-019-09209-4
Spangenberger, P., Kruse, L., & Kapp, F. (2019). Serious Games as Innovative Approach to Address Gender Differences in Career Choice. In Gentile M., Allegra M., Söbke H. (Ed.), Lecture Notes in Computer Science: Vol. 11385. Games and Learning Alliance: 7th international conference, gala 2018 (Vol. 11378, pp. 431–435). Cham: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-030-11548-7_43
Nadine Matthes, Pia Spangenberger, Felix Kapp, Linda Kruse, Martin Hartmann, Susanne Narciss (2018). Konzeption und Implementierung technischer Inhalte in ein Computerspiel. In: Vollmer, Thomas et al. (Hrsg.). Aktuelle Aufgaben für die gewerblich-technische Berufsbildung. Digitalisierung, Fachkräftesicherung, Lern- und Ausbildungskonzepte. Reihe: Berufsbildung, Arbeit und Innovation – Band 47. S. 137-148. Bielefeld, wbv Verlag.
Spangenberger, Pia; Kapp, Felix; Kruse, Linda; Matthes, Nadine (2018). Serious Games für den Unterricht: Berufsorientierung für gewerblich-technische Ausbildungsberufe am Beispiel von Serena Supergreen. In: Bildung und Beruf, 1. Jg., Ausgabe September. S. 146-15, Berlin, DBB Verlag.
Spangenberger, Pia; Kapp, Felix; Kurse, Linda; Hartmann, Martin; Narciss, Susanne (2018). How To Attract Girls For Technology Professions By Playing A Serious Game? In: International Journal of Gender, Science and Technology (IJGST). Vol.10, No.2. S. 253-264. http://genderandset.open.ac.uk/index.php/genderandset/article/view/496/952
Kruse, Linda; Spangenberger, Pia; Kapp, Felix (2017). Mit digitalen Spielen zum Machen inspirieren. Neue Wege einer geschlechtersensiblen Vermittlung technischer Inhalte mit dem Serious Game Serena Supergreen. In: COMPUTER + UNTERRICHT – Lernen und Lehren mit digitalen Medien: Maker Education. 27. Jg., H. 105, Friedrich Verlag, Seelze. S.22-23.
Spangenberger, Pia; Draeger, Iken; Matthes, Nadine; Kapp, Felix; Kruse, Linda (2017): Serena Supergreen und der abgebrochene Flügel. In: GENERGIE-Chancengleichheit in der Energietechnik. Seite 61-66.
Spangenberger, Pia; Draeger, Iken; Kapp, Felix; Kruse, Linda; Narciss, Susanne; Hartmann Martin (2016). Technische Ausbildungsberufe im Bereich Erneuerbare Energien. Analyse von Stellenanzeigen zur Identifizierung relevanter technischer Arbeitsfelder, Ausbildungsberufe und Qualifikationsanforderungen aus Unternehmenssicht. Wissenschaftsladen Bonn e.V. (Hrsg.). Bonn. https://www.wilabonn.de/images/PDFs/Serena/Analyse_Ausbildung_Erneuerbare_Energien.pdf
Stand: 27.08.2021