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„Zu wissen, was mir wirklich liegt und nicht, was von mir erwartet wird, ist bei der Berufs- und Studienwahl wesentlich.“

Interview mit Miguel Diaz von der Servicestelle der Initiative Klischeefrei zum Thema Gendersensible Berufliche Orientierung

Herr Diaz, die Initiative Klischeefrei setzt sich dafür ein, dass Jugendliche ihre Berufswahl ohne Beeinflussung durch geschlechterspezifische Stereotype treffen können. Welche Bedeutung kommt hierbei der Beruflichen Orientierung zu?

Traditionelle Rollenbilder prägen von früher Kindheit an trennende Vorstellungen von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ und haben einen maßgeblichen Einfluss auf Berufsvorstellungen junger Menschen. Jugendliche lassen sich bei der Berufswahl häufig von diesen Stereotypen anstatt von ihren individuellen Stärken und Interessen lenken. Sie konzentrieren sich auf nur wenige Berufe und engen damit ihr Berufswahlspektrum stark ein. Die Aufgabe einer klischeefreien Berufsorientierung ist es, diese Bilder kritisch zu hinterfragen, zum Umdenken anzuregen und den Blick zu weiten auf die vielfältigen Möglichkeiten, die Jugendlichen offenstehen.

Welche wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Gründe sprechen für eine Berufliche Orientierung ohne Geschlechterklischees?

Eine wettbewerbsfähige Wirtschaft ist darauf angewiesen, dass alle jungen Menschen ihre Fähigkeiten bestmöglich einbringen. Dies ist aktuell nicht der Fall. Wir beklagen in vielen Bereichen des Ausbildungs- und Arbeitsmarkts Fachkräfteengpässe. Junge Menschen schöpfen bei der Berufswahl nicht aus dem Vollen, kennen viele Berufe gar nicht oder lehnen sie ab, weil sie klischeehafte Vorstellungen davon haben. Hinzu kommen Studien- und Ausbildungsabbrüche, weil die Passung nicht stimmt. Eine klischeefreie Berufsorientierung, die den Fokus auf die Stärken unabhängig vom Geschlecht fokussiert, kann hier entgegenwirken.

Eine klischeefreie Berufsorientierung hat individuelle wie gesellschaftliche Auswirkungen: Persönliche Zufriedenheit ist sehr stark an den Beruf gekoppelt. Passt dieser nicht, leidet auch die Lebensqualität. Eine geschlechtergerechte Berufs- und Studienwahl hat zudem eine eigenständige Existenzsicherung über den gesamten Lebensverlauf im Blick und ermöglicht Frauen und Männern, an der Gesellschaft gleichberechtigt teilzuhaben und diese mitzugestalten. Wie stark traditionelle Rollenbilder die Lebensläufe von Frauen und Männern prägen, zeigen nicht zuletzt der anhaltende Gender Pay Gap oder der Gender Care Gap.

Oft gibt es in Bildungseinrichtungen bereits das Ziel einer klischeefreien Berufsorientierung und die Motivation, diese umzusetzen, aber es fehlt an methodischem Know-how und an Lernmaterialien. Welche Unterstützung bietet die Initiative Klischeefrei hierfür an?

Zur Unterstützung von Bildungseinrichtungen greift die Klischeefrei-Infothek, unsere große Wissenssammlung zur Berufs- und Studienwahl frei von Geschlechterklischees. Darin finden Interessierte neben Praxisbeispielen, Arbeitsmaterialien, Fachbeiträgen und Videos auch Studien zum Thema klischeefreie Berufs- und Studienwahl.

Wir haben außerdem verschiedene fundierte und praxisnahe Materialien für Fachkräfte entwickelt, die sehr gut nachgefragt werden. Das sind vor allem unsere Methodensets für Kita, Grundschule und Sekundarstufe I, aber auch Faktenblätter zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Ausbildung, Studium und Arbeitsmarkt, Themendossiers und ein Quiz. Aktuell enthält unsere Infothek bereits über 500 Einträge. Sie entwickelt sich zum zentralen Anlaufpunkt für alle, die Informationen rund um Berufswahl, Arbeitsmarkt und Klischees suchen.

Initiative Klischeefrei

Die Initiative Klischeefrei macht sich für eine Berufs- und Studienwahl frei von Geschlechterklischees stark. Der bundesweite Zusammenschluss von Partnerorganisationen aus Bildung, Politik, Wirtschaft, Praxis und Wissenschaft setzt zielführende Maßnahmen um, vernetzt sich und tauscht Materialien und gute Praxis aus.

Mehr unter: https://www.klischee-frei.de

Welche Materialien und welche Vorgehensweise können Sie für eine klischeefreie Berufliche Orientierung und Berufswahlbegleitung von Jugendlichen besonders empfehlen?

Im Schulbereich gibt es in verschiedenen Fächern die Möglichkeit, Klischees und Stereotype aufzuzeigen und zu einer Berufs- und Studienwahl frei von Klischees beizutragen. Für die Sekundarstufe I haben wir das Methodenset „Klischeefrei macht Schule“ entwickelt. Das Set umfasst 12 interaktive Unterrichtsmethoden für Schülerinnen und Schüler. Die Unterrichtsmethoden können sowohl im Fachunterricht als auch im berufsvorbereitenden Unterricht, in Vertretungsstunden oder an Projekttagen eingesetzt werden.

Das kritische Hinterfragen von Klischees und Stereotypen kann für Jugendliche sehr wertvoll sein, da es die Selbstreflektion anregt. Gerade in dieser spannenden Lebensphase, bei der die Selbstfindung eine so große Rolle spielt, ist es wichtig, sie dabei zu unterstützen. Die Beschäftigung mit gängigen Stereotypen gerade auch in Bezug auf die Berufsorientierung kann ihnen helfen, sich selbst besser – und damit auch ihre Stärken – kennenzulernen. Zu wissen, was mir wirklich liegt und nicht, was von mir erwartet wird, ist bei der Berufs- und Studienwahl wesentlich.

Um die Auseinandersetzung mit Klischees spielerisch anzugehen, haben wir für Jugendliche das „Klischeefrei-Quiz“ entwickelt. Da für Jugendliche Vorbilder sehr wichtig sind, gibt es auf unserem Portal eine Mediathek mit spannenden Videos und Podcasts, die zeigen, wie eine klischeefreie Berufswahl in der Praxis aussehen kann, und welche Erfahrungen die Beteiligten machen. So zeigen beispielsweise die vielen Videos zu verschiedenen Berufsfeldern, dass Berufe kein Geschlecht haben und Frauen und Männer jeden Beruf ergreifen können, der ihren Stärken entspricht.

Welche Angebote gibt es speziell für Lehrkräfte?

Da Kinder schon früh mit einengenden Geschlechterklischees konfrontiert werden, die sich im Verlauf ihres Lebens verfestigen und später auf die Berufs- und Studienwahl auswirken können, haben wir speziell für Fachkräfte in Kitas das Methodenset „Klischeefrei fängt früh an“ entwickelt. Das Set enthält neben Methoden für die klischeefreie Arbeit mit Kindern auch solche zur Sensibilisierung und Selbstreflexion im Team.

In der Schule unterstützen wir mit unseren vielfältigen Materialien Lehrkräfte und andere pädagogische Fachkräfte darin, den zum Teil schon vorhandenen Bildern in den Köpfen der Kinder und Jugendlichen klischeefreie Bilder entgegenzusetzen. Für die Primarstufe gibt es das Methodenset „Klischeefrei durch die Grundschule“. Das Set setzt an der Problematik an, dass Kinder bereits in der Grundschule viele Berufe mit einem Geschlecht verbinden. Für die Sekundarstufe I stellen wir Lehrkräften das bereits erwähnte Methodenset „Klischeefrei macht Schule“ zur pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen zur Verfügung.

Darüber hinaus bieten unsere Themendossiers auch Lehrkräften einen Einstieg in das Thema. Hier widmen wir uns einzelnen Aspekten einer klischeefreien Berufswahl und beleuchten sie aus verschiedenen Perspektiven. Zu Wort kommen Wissenschaft wie Praxis. Praktische Handreichungen sowie Tipps ergänzen das Angebot.

Informationen & Praxismaterialien

Die Initiative Klischeefrei bietet für verschiedene Zielgruppen Praxismaterialien an. Für Lehrkräfte und andere Fachkräfte im Übergang Schule - Beruf sind u.a. folgende Angebote relevant:

  • Für die Sekundarstufe I hat die Initiative das Methodenset „Klischeefrei macht Schule“ mit 12 interaktiven Unterrichtsmethoden entwickelt.
  • An Lehrkräfte richtet sich u.a. das Themendossier „Schule: Berufs- und Studienwahlspektrum von Jugendlichen erweitern“ mit vielen Hinweisen auf Informations- und Unterrichtsmaterial.
  • Weitere relevante Themendossiers finden sich unter dem Menüpunkt „Themen“, u.a. „Berufsberatung“, „Ausbildung und Studium - Potenziale optimal nutzen“ und „Studienwahl ohne Geschlechterklischees“.
  • Ausgangspunkt für die Selbstreflexion von Lehr- und Fachkräften kann das Klischeefrei-Quiz sein, dass es in zwei Versionen, für Jugendliche und für Erwachsene, gibt. Das Klischeefrei-Quiz für Erwachsene eignet sich insbesondere für Fortbildungen, Workshops und ähnliche öffentliche Veranstaltungen.

Gibt es noch etwas, das Sie Lehr- und Fachkräften gerne abschließend mit auf den Weg geben möchten?

Wir alle haben Geschlechterklischees verinnerlicht. Machen Sie sich eigene Klischees bewusst! Überprüfen Sie Ihre eigene Haltung und bilden Sie sich zu dem Thema weiter. Klischees abzubauen ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen abgeschlossen ist, sondern einen langen Atem braucht. Neben dem Quiz für Jugendliche, gibt es auch ein Klischeefrei-Quiz für Erwachsene, ein guter Einstieg zur Selbstreflektion!

Gehen Sie stärkenorientiert auf Ihre Schülerinnen und Schüler zu – sie alle können versteckte Talente haben, von denen sie selbst noch nichts wissen. Unterstützen Sie Kinder und Jugendliche darin, diese frei von Klischees zu erkunden, damit sie jeweils den Beruf finden, der zu ihnen passt.

Vielen Dank für das Interview.

Stand: 24.11.2021

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